Tariflohnbindung in der Pflege

Seit September 2022 müssen Pflegeeinrichtungen ihren Beschäftigten, die Leistungen der Pflege oder Betreuung erbringen, eine Entlohnung nach Tarif oder in Tarifhöhe bezahlen.

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Strategieberatung

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Zwei ältere Damen backen gemeinsam mit einer jungen Pflegerin und verrühren Teig

Die folgenden Fragen stammen aus unserem Webinar „Die Einführung der Tariflohnbindung in der Pflege“ und wurden von unserem Referenten Stephan Binsch, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, ausführlich und mit viel fachlicher Expertise beantwortet.

Die wichtigsten Fragen zur Tariflohnbindung

Welche Mitteilungspflichten haben tarifgebundene Pflegeeinrichtungen durch die Tariflohnbindung künftig zu erfüllen?

Tarifgebundene Pflegeeinrichtungen müssen jedes Jahr bis zum 30. September den Landesverbänden der Pflegekassen mitteilen, an welchen Tarifvertrag oder welche kirchliche Arbeitsrechtsregelungen sie gebunden sind.

Daneben müssen die Pflegeeinrichtungen jährlich weitere Informationen an die Pflegekassen übermitteln. Hierzu zählt die Anzahl der Vollzeitäquivalente, die in der Pflege oder Betreuung von Pflegebedürftigen eingesetzt werden, unterteilt nach drei Beschäftigtengruppen:

  • Pflege- und Betreuungskräfte ohne mindestens einjährige Berufsausbildung,
  • Pflege- und Betreuungskräfte mit mindestens einjähriger Berufsausbildung,
  • Fachkräfte in den Bereichen Pflege und Betreuung mit mindestens dreijähriger Berufsausbildung.

Ebenfalls zu übermitteln sind die in dem Tarifwerk vereinbarten fixen und regelmäßigen Bestandteile der Entlohnung, also das monatliche Tabellenentgelt, Jahressonderzahlungen, vermögenswirksame Leistungen, Zulagen und Zuschläge für Nachtarbeit, Sonntags- und Feiertagsarbeit, Schichtarbeit und Wechselschichtarbeit sowie Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft.

Was haben nicht tarifgebundene Pflegeeinrichtungen nun zu tun?

Nicht tarifgebundene Pflegeeinrichtungen haben zwei Möglichkeiten, die Vorgabe des Gesetzgebers umzusetzen, ihren Mitarbeitern eine Entlohnung zu bezahlen, die die eines Tarifvertrages oder einer kirchlichen Arbeitsrechtsregelung nicht unterschreitet.

So können sie entweder die Vergütungssystematik eines Tarifvertrages oder einer kirchlichen Arbeitsrechtsregelung übernehmen. In diesem Fall müssen sie, Stand jetzt, bis 30.04.2022 den Landesverbänden der Pflegekassen mitteilen, welcher Tarifvertrag oder welche kirchliche Arbeitsrechtsregelung spätestens ab 01.09.2022 für sie maßgeblich sein wird.

Oder sie geben, ebenfalls nach derzeitigem Stand bis 30.04.2022, gegenüber den Landesverbänden der Pflegekassen die Mitteilung ab, dass sie spätestens ab 01.09.2022 eine Vergütung mindestens in Höhe des sog. regional üblichen Entgeltniveaus bezahlen. Letztere Möglichkeit war im Gesetz ursprünglich nicht enthalten, wurde aber nunmehr nachträglich durch die Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes, welche mit dem Bundesministerium für Gesundheit abgestimmt sind, eingeräumt.

Eine Möglichkeit für nicht tarifgebundene Pflegeeinrichtungen, die Vorgaben des Gesetzgebers umzusetzen, besteht also darin, sich künftig für ein Tarifwerk entscheiden, das für sie maßgeblich sein soll. Beschränkt sich die Auswahl auf die Tarifverträge, die in der Auflistung der GKV-Spitzenverbandes zusammen mit dem regional üblichen Entgeltniveau veröffentlicht wurden?

Nein. Pflegeeinrichtungen sind grundsätzlich frei darin, sich auch ein Tarifwerk auszusuchen, das in der Auflistung nicht enthalten ist. Allerdings empfiehlt sich, einen Tarifvertrag oder eine kirchliche Arbeitsrechtsregelung aus der Auflistung für das jeweilige Bundesland auszuwählen, da für diese bereits festgestellt ist, dass sie das regional übliche Entgeltniveau um nicht mehr als 10 Prozent überschreiten – mit der Folge, dass die aus der Anwendung eines solchen Tarifwerks resultierenden Personalaufwendungen von den Kassen nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden können. Wird ein Tarifwerk ausgewählt, das in der Übersicht nicht enthalten ist, so besteht die Gefahr, dass die Kassen eine Refinanzierung der Personalaufwendungen ablehnen, da eben für dieses Tarifwerk nicht festgestellt ist, dass das regional übliche Entgeltniveau nicht um mehr als 10 Prozent überschritten wird.

Wenn ich mich für ein Tarifwerk entschieden habe: müssen alle dort genannten Vergütungsbestandteile umgesetzt werden (z.B. auch die Stufeneinteilung)? Und müssen in diesem bereits vereinbarte Erhöhungen bzw. Anpassungen dann automatisch auch zu diesem Zeitpunkt umgesetzt werden?

Nach den Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes zählen zur Entlohnung die Grundvergütung sowie sämtliche Zulagen, Zuschläge und Gratifikationen. Diese sind zwingend in der Höhe zu gewähren, wie das Tarifwerk dies vorsieht. Bei der Ermittlung der Grundvergütung müssen die Eingruppierungs- und Einstufungsgrundsätze des Tarifwerks zwingend beachtet werden.

Künftige im Tarifwerk angelegte Tarifsteigerungen sind entsprechend zeitlich identisch umzusetzen. Andernfalls wird die Vorgabe, eine Entlohnung zu bezahlen, die der des als maßgeblich mitgeteilten Tarifwerks entspricht, nicht erfüllt.

Fällt der Urlaubsanspruch unter die Bestandteile der Vergütungssystematik eines Tarifvertrags?

Der Urlaubsanspruch zählt nach den Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes nicht zur Entlohnung. Eine Übernahme der Urlaubsregelungen des Tarifvertrages ist somit nicht erforderlich.

Können Zulagen und Eingruppierungen frei gestaltet werden, wenn im Durchschnitt das Niveau des gewählten Tarifvertrags eingehalten wird?

Nein, das ist nicht möglich. Durch die gesetzliche Regelung erwerben die Mitarbeiter einen individuellen Anspruch auf eine tarifliche Vergütung. Die individuellen Zulagen, Zuschläge und Sonderleistungen müssen somit jedem Mitarbeiter mindestens in tariflicher Höhe gewährt werden.

Gibt es in der P-Tabelle zusätzlich noch die Pflegezulage? 

Ja, diese beträgt derzeit 120 Euro brutto. Teilzeitbeschäftigten ist diese anteilig zu gewähren.

Gibt es in Tarifverträgen Einstufungssystematiken die zumindest teilweise die individuelle Leistung zum Maßstab machen?

Ja. Der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) sieht zum Beispiel vor, dass die Stufenlaufzeiten von Stufe 3 an in Abhängigkeit der Leistung erreicht werden.

Pfleger unterhält sich mit Seniorin

Werden Mitarbeiter*innen aus Reinigung, Küche, Verwaltung auch nach Tarif bezahlt werden können – inklusive Wirtschaftlichkeitsberechnung?

Die Vorgabe des Gesetzgebers ist, dass die Vergütung von Beschäftigten, die Leistungen der Pflege oder Betreuung erbringen, die Vergütung eines Tarifwerks nicht unterschreiten darf. Im Gegenzug sieht der Gesetzgeber eine Pflicht der Kassen zur Refinanzierung vor. Wenn Sie Beschäftigte aus den genannten Bereichen nach Tarif bezahlen wollen, so können die Kassen die Refinanzierung dieser zusätzlichen Aufwendungen ablehnen.

In meinem Ambulanten Pflegedienst habe ich zwei Stellvertretungen und eine PDL, die bekommen ein wirklich sehr gutes Gehalt mit PKW etc., die werden zukünftig ebenfalls nach Tarifvertrag zu behandeln sein? 

Wenn diese Leitungskräfte Leistungen der Pflege oder Betreuung erbringen, dann gilt auch im Hinblick auf diese Mitarbeiter die Verpflichtung, diese nach Tarif oder mindestens in Höhe des regional üblichen Entgeltniveaus zu vergüten.

Sind examinierte Pflegekräfte (auch Altenpflege) in einem Hospiz nach Entgeltgruppe P 8 zu bezahlen? 

Das ist vom jeweiligen Tarifvertrag abhängig und kann daher pauschal nicht beantwortet werden.

Kann man sich bei der Frage, welcher Tarifvertrag für die Pflegeeinrichtung maßgeblich sein soll, zukünftig umentscheiden und den maßgeblichen Tarifvertrag wechseln?

Ja, diese Möglichkeit besteht.

Wenn meine Mitarbeitenden nun mehr verdienen als in einem Tarifvertrag geregelt, muss ich deren Verdienst dann in der Entgelthöhe reduzieren? Wenn ja, bedarf es hierzu einer Veränderungskündigung?

Hier sollte zunächst eine Überprüfung stattfinden, ob das regional übliche Entgeltniveau erreicht wird. Dieses wurde zwischenzeitlich für die drei Beschäftigtengruppen ermittelt. Im Durchschnitt der Mitarbeiter innerhalb jeder Beschäftigtengruppe muss dann das regional übliche Entgeltniveau erreicht sein. Ist dies der Fall, so muss die Vergütungssystematik eines Tarifvertrages oder einer kirchlichen Arbeitsrechtsregelung nicht übernommen werden. Es empfiehlt sich dann, gegenüber den Landesverbänden der Pflegekassen zu erklären, dass die Vergütung mindestens in Höhe des regional üblichen Entgeltniveaus erfolgt.

Eine Reduzierung der Vergütung ist nicht vorzunehmen. Die derzeitige Vergütung ist auch dann von den Kassen zu refinanzieren, wenn hierdurch das regional übliche Entgeltniveau um mehr als 10 Prozent überschritten werden sollte, da dann ein sachlicher Grund für die Überschreitung dieser 10-Prozent-Grenze vorliegt.

Es soll ja eine 1:1-Refinanzierung der an die Tarifverträge orientierten Gehälter durch die Kranken- bzw. Pflegekassen geben. Dies geschieht weiterhin wahrscheinlich durch die Vergütungsvereinbarungen für die erbrachten Pflegeleistungen, oder? Meine Overhead-Kosten muss ich wie bisher weiterhin aus den Überschüssen tragen?

Ja, die Refinanzierung erfolgt über die Vergütungsvereinbarungen. Die Vereinbarung der Vergütungssätze erfolgt auf Basis einer Aufstellung der prospektiven Personalkosten unter Anwendung der Vergütungssystematik des Tarifvertrages, welchen Sie für sich künftig als maßgeblich ansehen. Die entsprechenden Personalaufwendungen, die aus der Übernahme der Vergütungssystematik des Tarifvertrages entstehen, sind vollständig von den Pflegekassen zu refinanzieren.

Die Overhead- und Sachkosten sollten Sie in Ihre Kalkulation mit aufnehmen, um hieraus ihre Stundenentgeltforderung abzuleiten. Ziel muss sein, einen Stundensatz mit den Kassen zu vereinbaren, der dieser Forderung möglichst nahe kommt.

Was ist, wenn ich keinen Tarifvertrag und keine kirchliche Arbeitsrechtsregelung anwenden möchte? Kann ich auch eine eigene Entgeltordnung aufsetzen, die dem regionalen Durchschnitt entspricht?

Durch die Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes wurde die Möglichkeit, sich nicht für die Übernahme der Vergütungssystematik eines Tarifvertrages oder einer kirchlichen Arbeitsrechtsregelung zu entscheiden, sondern stattdessen eine Vergütung mindestens in Höhe des regional üblichen Entgeltniveaus vorzunehmen, nachträglich eingeführt. Insofern ist es nunmehr auch möglich, eine eigene Entgeltordnung aufsetzen, die eine Vergütung mindestens in der Höhe des regional üblichen Entgeltniveaus vorsieht.

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